Fotograf Wilfried Beege. @beege
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Seinen blauen Augen entgeht nichts. Wilfried Beege beobachtet Leute genau, registriert gleichzeitig Licht, Stimmung und Atmosphäre. „Ich kann gut auf Menschen eingehen", sagt er – und dieses Einfühlungsvermögen spiegelt sich in seinen Fotografien wider. Ob bei Vernissagen, Hochzeiten, Betriebsfeiern oder im Studio: Er trifft die Persönlichkeit. Dabei gelingt es dem gestandenen Mann mit den kinnlangen grauen Haaren und den buschigen Augenbrauen bei Veranstaltungen unauffällig zu bleiben, stets bereit, im günstigsten Moment den Auslöser der Kamera zu bedienen. Der Blick auf das Natürliche und Echte ist es, der ihn fasziniert. Gelebtes Leben anstelle von glamorous life.
Das hat Beegee, wie er in der englisch sprechenden Modelszene genannt wurde, jahrzehntelang als Modefotograf genossen. Reisen um die Welt, die schönsten Mädchen an den schönsten Stränden vor der Linse. unzählige Titelfotos für Magazine und Reportagen. Heute hier, morgen fort. Die Unrast begann mit seiner Geburt 1944 im Sudetenland. Der Vater im Krieg gefallen, flüchtete Beeges Mutter mit Großmutter und drei Kindern nach Thüringen. Bestechungsflaschen für die russischen Grenzer im Kinderwagen versteckt, waren die Eintrittskarte in den Westen: Berlin, Hannover, Ulm die Stationen, bevor die Familie in Niederbayern sesshaft wurde. Die Mutter verdiente den Lebensunterhalt als Lehrerin. Als Kind wollte Wilfried mal Pfarrer werden: "Da stehe ich auf der Kanzel und die Leute machen brav, was ich ihnen befehle!" Nach dem Abitur studierte er an der Bayerischen Staatsanstalt für Fotografie in München, Schwerpunkt Porträt, und knüpfte erste Kontakte zur Schwabinger Theaterszene.
Hier lernt er Rainer Werner Fassbinder kennen, fotografiert Bühnenbilder für dessen Theaterstücke und kommt sogar als Kameramann für einen Film des Kultregisseurs zum Einsatz. 1969 wird er auf eine Stellenausschreibung des Münchner Burda-Verlags aufmerksam. "An der Tür hing ein kleiner Zettel wie im Supermarkt mit Telefonnummern zum Abreißen", erinnert er. Aenne Burda sucht für ihren Modeverlag in Offenburg einen Fotoassistenten. Bereits nach einem Jahr beerbt Beege seinen Chef Christoph Rüdt von Collenberg und wird Leiter von sieben Fotostudios. Hier entstehen Bilder für Burda Moden, Burda International, Burda Sonderhefte, Carina und Verena. Auf Reisen nach Afrika ("Die trockene Luft in Ägypten war super, weil das Make-up den ganzen Tag hielt"), Indien, in die USA, zu Mittelmeerinseln und den Kanaren produziert das meist achtköpfige Team stets Fotostrecken für mehrere Ausgaben. Aenne Burda wirtschaftet sparsam – und kann gern und heftig Kritik üben, wenn ihre Offenburger Crew nicht up to date ist. „Einmal habe ich sogar mit der Faust auf ihren weißen Lackschreibtisch gehauen und gefordert, dass wir nicht immer nur nach Berlin, sondern auch zu den Schauen nach Mailand und Paris fahren dürfen", erzählt Beege.
Es ist die Ära der Supermodels und Wilfried Beege auf einmal mittendrin: Er fotografiert Cindy Crawford, Christy Turlington, Naomi Campbell, Linda Evangelista („Oben ohne, mit einem Haufen Kartoffeln im Arm, für einen Bunte-Titel"), und natürlich Claudia Schiffer: "Sie war damals erst 16 und Mama saß immer neben ihr." Als es zwischen der Verlegerin und ihrem Cheffotografen erneut zum Disput kommt, erlebt dieser anstelle eines Rauswurfs die Überraschung seines Angestelltenlebens: Sie bezahlt ihm drei Monate Urlaub in einer beliebigen Großstadt plus ordentlichem Taschengeld unter der Prämisse, sich beruflich weiterzubilden. Er entscheidet sich für New York und quartiert sich in einer Wohngemeinschaft im Ansonia Building am Broadway ein. Von dort sucht Beegee die Studios vieler berühmter Fotografen auf, organisiert für einen Freund eine Fotoausstellung, jobbt in Andy Warhols legendärer Factory und erlebt den bleichen, introvertierten Pop Art-Künstler als "Fisch auf Beinen".
1989 springt er selbst ins kalte Wasser und macht sich selbständig. Er renoviert den alten Tanzsaal der Zauberflöte in Offenburg und richtet dort sein Studio ein. Als freier Fotograf dokumentiert er dann auch für Harper's Bazaar, Cosmopolitan die Modeschauen in Mailand und Paris und Mode für Madeleine und Quelle. Schon zu dieser Zeit konzentriert er sich – wie in seinen Münchner Anfängen, als er mit Fotos von Theaterschauspielern und für Setcards erstes Geld verdiente – wieder auf Porträts, lichtet für Magazine VIPs aus der Modebranche, Schauspielerinnen, Firmenchefs und Vorstandsvorsitzende ab. Er wechselt seine Studios, bleibt dem Sujet aber treu. "Die Glamourwelt habe ich hinter mir gelassen", beteuert der Weitgereiste, der mittlerweile mit Familie und 100-jähriger Mutter in Urloffen lebt und mit seiner Frau ("Eine echte Schwarzwälderin!") am liebsten im Ländle urlaubt. In der Ortenau porträtiert er Menschen, privat, im Business, für Profil- und Bewerbungsbilder, fotografiert Firmenreportagen und -events, bebildert Wände für private und öffentliche Räume aus seinem immensen Fotoarchiv und nach wie vor gehören zu seinem Arbeitsgebiet redaktionelle Werbefotos. Pünktlich zum Siebzigsten hat Beegee seine Webseite neu gestaltet, die Einblick in ein bewegtes Leben und seine Aktivitäten gibt (www.beege.de). Dort plaudert er in einem Blog auch mal aus dem Nähkästchen eines Modefotografen und schreibt über fotografische Themen. "Ich bin ein Call-Fotograf", sagt der Vater von fünf Töchtern mit einem blauen Augenzwinkern, "einfach anrufen und ich bin zur Stelle."
Naomi Campbell, Prêt-a-porter Paris 1994 für Blumarine, fotografiert für "Harper's Bazaar". ©beege
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Schwarzwaldmädel, redaktioneller Beitrag für "Verena". ©beege
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